Nürnberger Nachrichten / Nürnberger Zeitung 3.Juni 2021
Ein sanfter Rebell
BILDERBÜCHER
Helmut Spanner begeistert seit mehr als 40 Jahren Kinder mit Pappe, Pinsel und Stift
VON MELANIE SCHEUERING
Jahrzehntelang hat sich die Öffentlichkeit nicht für ihn interessiert. Jetzt, da Helmut Spanner 70 geworden ist, fällt plötzlich auf, dass der gebürtige Augsburger ganze zwölf Millionen Kinderbücher verkauft hat, dass er als Komponist und Musiker erfolgreich ist und vor allem: dass er wirklich etwas zu sagen hat.
Seine Herzensangelegenheit sind Kinder und ihre Sicht auf die Welt. Nur wer die versteht, kann Kinder fördern und ihnen den Zugang zu Entwicklung und Bildung ermöglichen, sagt Spanner. Seit er in den Siebzigern an der Akademie der Bildenden Künste in München studiert hat, ist er beseelt von diesem Thema.
„Wissen Sie“, sagt Spanner oft während des Telefonats mit unserer Zeitung, und dann redet er sich in Rage, bis man ihn unterbricht oder die Verbindung zu seinem Zweitwohnsitz im Allgäu schlapp macht. Aber eigentlich möchte man ihm gar nicht ins Wort fallen, weil seine Botschaft und die damit verbundene Begeisterung etwas Faszinierendes hat.
Vielleicht, weil sie einfach ist. So einfach eben wie die Bilder seiner Papp-Bücher, mit denen er in den vergangenen 45 Jahren unzählige Kinder gefesselt hat. Realistisch-naiv malt er das braun-grau getigerte Kätzchen, das auf dem Titel seines Klassikers „Ich bin die kleine Katze“ mit einem roten Kinderschuh spielt. Mit Liebe zum Detail, aber ohne ablenkende Details möglichst allgemein gültig dargestellt.
Die erste Auflage erschien 1981 im Ravensburger Verlag im neuartigen Hochformat. Bis heute sieht das Buch noch genau so aus wie damals, nur eine Seite wurde gestrichen –
aus Kostengründen, wie Spanner sagt. Obwohl manches zwangsläufig inzwischen etwas altmodisch anmutet, wird das Buch weiter gern gekauft.
Spanner weiß auch genau, warum. Weil kleine Kinder, die gerade dabei sind, sich die Welt zu erschließen und die Sprache zu erlernen, auf klare, naturgetreue Bilder angewiesen sind. Die kurzen Texte – meist nur ein einfacher Satz pro Seite – stammen ebenso von Spanner, sind aber, wie er selbst sagt, „Nebensache“.
Für seine Bilder benutzt Spanner eine Mischform aus Zeichnen und Malen mit Aquarell- technik. Das Fell der kleinen Katze, die als Ich-Erzählerin schildert, was sie den ganzen Tag über erlebt – man kann fast spüren, wie weich es sein muss. Materialien wie die Lederschnürer der kleinen Christine, die sich liebevoll um ihr Haustier kümmert, die Steinplatten auf der Terrasse, das aufgeschichtete Brennholz, das Wollknäuel im Wohn- zimmer – alles wirkt zum Anfassen echt.
In gleicher Weise, nur ohne Geschichte, ist das nicht minder erfolgreiche Debütwerk „Erste Bilder, erste Wörter“ gestaltet – und all die anderen gut 20 Pappbilderbücher aus Spanners Feder. „Im Gegensatz zu mir und meinem intellektuellen Ansatz gehen die meisten Bilderbuchautoren künstlerisch vor, das heißt, die Figur oder der Gegenstand
darf nicht so aussehen wie in der Realität, denn dann ist es keine Kunst“, erklärt Spanner mit unverkennbarer Ironie. „Absurd.“
Dass er selbst also keinen Zeitgeist trifft, dürfte der Grund sein, warum ihn das Feuilleton 45 Jahre lang ignorierte und andere Kollegen mit weit geringerer Auflage Preise einheimsten. Ein Star wie Horst Eckert alias Janosch, der für die gleiche Auflagenhöhe 300 Titel veröffentlichte, ist Spanner nie geworden, Millionär auch nicht. „Es wird überschätzt, was man an Pappbilderbüchern als Autor verdient. Centbeträge“, erklärt er. „Aber es ist schon so, dass ich anders als viele Kollegen irgendwann davon leben konnte.“
Bestätigung findet Spanner in den Reaktionen der Kinder. Bereits als Kunststudent erprobte er ganz praktisch in einem Kindergarten, was die Kleinsten von bestimmten Bildern und Illustrationen halten, womit sie etwas anfangen können und was sie achtlos beiseite legen. Die Erkenntnisse, untermauert durch Theorien des Schweizer Entwicklungspsychologen Jean Piaget, flossen in seine Zulassungsarbeit zum „Pappbilderbuch“ ein – seinerzeit übrigens mit 1 benotet. Demgegenüber wurde die praktische Arbeit, das Pappbilderbuch „Meine ersten Sachen“, das heute noch verkauft wird, mit Note 5 abgekanzelt.
Eine Mutter, erzählt Spanner, habe ihm einmal geschrieben, dass ihr kleiner Sohn fast drei Jahre lang kein einziges Wort sprach – bis er das Buch von der kleinen Katze in die Finger bekam und plötzlich drauflosplapperte. Sie war überglücklich und dankbar. Erwachsene, die Spanner und seine Frau Christine in ihrer Altbau-Atelierwohnung in der Münchener Maxvorstadt besuchen, erinnern sich detailliert an die Bilder in seinen Büchern.
„Das ist der Kern“, sagt Spanner. „der Wiedererkennungseffekt. Daraus lernen die Kinder, Begriffe zu bilden.“ Er könnte stundenlang reden über die zunehmende Leseschwäche bei Kindern, den Bildungsauftrag der Literaturszene und die Profitorientierung im Verlagswesen. Zeitweise schwingt eine gewisse Resignation mit. Neue Bücher von Spanner wird es nicht mehr geben.
Seine Kreativität lebt der 70-Jährige mit Musik aus, immer schon. Kaum jemand weiß, dass Spanner, der Klavier, Gitarre und Bass spielt, zusammen mit Regisseur Dominik Graf – ein Freund aus Schulzeiten – Musik für den „Tatort“ und viele andere Filme komponiert hat.
Und kürzlich hat Spanner selbst ein Album mit Instrumentalstücken herausgebracht. „Ich könnte ohne Pinsel leben, aber nicht ohne Musik“, sagt er. Die Stücke sind meist leicht und beschwingt, aber nur scheinbar einfach. Ähnlich wie in seinen Kinderbüchern steckt darin eine tiefe Liebe zum Arrangieren. Er weiß, dass er auch damit „keine Chance“ hat auf eine große Bühne. Aber wenn es ihm darum ginge, hätte er auch keine Pappbilderbücher machen dürfen.
Worte zum Greifen
Der Autor und Zeichner Helmut Spanner wird 70 Jahre alt. Seine Pappbilderbücher wurden zwölf Millionen Mal verkauft – und prägen seit mehr als vierzig Jahren die frühkindliche Wahrnehmung, von Barbara Hordych
Für sehr viele Menschen sind Helmut Spanners Bilderbücher der Einstieg in die Welt der Sprache und der Literatur. Aber die wenigsten von ihnen können sich daran erinnern – bis sie selbst wieder Kinder haben oder sich mit der Erziehung von Kleinkindern beschäftigen. Und aufs Neue erleben, wie Zwei- und Dreijährige Spanners Pappbilderbücher wie „Erste Bilder – Erste Wörter“ oder „Ich bin die kleine Katze“ in die Hände nehmen. Fasziniert betrachten sie die robusten Seiten mit den farbigen dreidimensionalen Abbildungen von Tasse und Löffel, Semmel und Banane, entdecken die realen Gegenstände in ihrer Umgebung wieder – und stellen die Verbindung zwischen beidem her.
Der in Augsburg geborene Schöpfer dieser Bücher, die mit zwölf Millionen verkauften Exemplaren (und vermutlich noch vielmehr „Lesern“) seit 40 Jahren Bestseller in Kinderzimmern sind, wird an diesem Freitag 70 Jahre alt. Der quirlige und sehr kommunikative Jubilar lädt einige Tage zuvor gemeinsam mit seiner Frau Christine zu einem Kaffee auf Abstand in seiner weitläufigen Schwabinger Altbauwohnung in der Türkenstraße. Die Akademie der Bildenden Künste, an der Spanner in den 1970er- Jahren Kunsterziehung studierte, ist nur einen Steinwurf entfernt. Und die Grundschule nebenan ist zwar nicht diejenige, an der seine Frau Christine unterrichtete. Doch sie halten Spanners lebenslanges Thema präsent: Die Frage von Wahrnehmung und Spracherwerb und wie das eine mit dem anderen zusammenhängt.
Spätestens seit Spanner als junger Akademiestudent zwecks Bilderbuchanalyse in die Kindergärten gegangen ist, wurde ihm klar: „Die Kinder kommen von der Greiferfahrung, sie kommen über die Hände. Das heißt, die taktile Wahrnehmung ist wichtig, denn sie ist eine Vorstufe der abstrakten visuellen Wahrnehmung.“ Kinder erlernen durch Fühlen und Greifen Wahrnehmung – „sie begreifen im wörtlichen Sinn“, erklärt Spanner. Deshalb holen seine Pappbilderbücher die Kinder „dort ab, wo sie mit zwei Jahren stehen.“ Mit ihnen lerne das Kind die Gegenstände, die es bisher nur aus der Realität kenne, in der Welt des Bildes wiederzuerkennen. „Es ist eine platte Welt. Denn was früher eine Tasse war, in die das Kind reingreifen konnte, taucht jetzt im Buch auf. Hier kann es aber nicht mehr reingreifen. Es kann die Tasse auch nicht mehr umfassen. Das Kind muss also das Bildzeichen völlig neu lernen. Deshalb sind die Sachen in meinen Pappbilderbüchern reduziert“, sagt Spanner. Besagte Tasse zeichne er ohne irgendwelche Muster. „Weil ein Kind sonst die Muster mit der Tasse mitlernen würde. Das führt dann später im schlimmsten Fall zu Sofas mit Blumenmuster“, sagt er und lacht.
Wichtig sei es, das Wesentliche an den Gegenständen in der Dreidimensionalität zu betonen und das wegzulassen, was nicht nötig sei. Umgekehrt müsse das, was funktional zur Tasse gehöre, unbedingt im Bild vorhanden sein. „Die Wandung etwa, man muss sehen, dass es reingeht und man etwas hineintun kann. Und der Henkel, der ist natürlich wichtig von der Funktion her, damit man sich die Finger nicht verbrennt. Das ist geistig das Wichtige an der Tasse. Alles andere ist austauschbar.“
Was so einleuchtend klingt und farblich noch schöner leuchtet in Rot und Gelb, Grün und Orange in den von ihm gezeichneten Pappbilderbüchern, begann 1977 mit der Veröffentlichung von „Meine ersten Sachen“ im Ravensburger Verlag. Noch als Student war er nach Ravensburg gefahren, um dem Verlagsgründer Otto Maier rundheraus zu erklären: „Wissen Sie eigentlich, dass Sie Bilderbücher rausbringen, die die Kinder gar nicht erkennen?“. Zu diesem Schluss war er durch seine Recherchen in der Kindergarten-Praxis gekommen – viele Pappbilderbücher waren so gehalten, dass es den Kindern schwer fiel, mit den abgebildeten Gegenständen etwas anzufangen. Seine Äußerung damals sei schon „recht frech“ gewesen, sagt Spanner im Rückblick. Doch Maier ließ ihn machen – und das Ergebnis sprach für sich.
Freilich war damals das Verlagsprogramm Bilderbuch noch ganz schmal, heute umfasse es dagegen ein Vielfaches, gibt Spanner zu bedenken. Sein Bilderbuchkollege Ali Mitgutsch, der in derselben Straße wohnt, habe einmal zu ihm gesagt: „Helmut, ich habe das goldene Zeitalter erlebt, du das silberne, und jetzt kommt das blecherne“, zitiert Spanner. Dem Wimmelbuch-Autor Mitgutsch hätten er und die nachfolgenden Autoren übrigens viel zu verdanken, sagt Spanner. „Denn er war es, der damals bei dem Verlag durchsetzte, als Autor am Verkauf der Auflage prozentual beteiligt zu werden. Bis dahin war es üblich gewesen, sich das Werk mit einem Vertrag komplett abkaufen zu lassen.“
Der Erfolg des Buchs ermutigte ihn dazu, sein kurzes Intermezzo als Kunsterzieher am Gymnasium aufzugeben. Während des Studiums waren er und einige Kommilitonen noch beseelt von dem Wunsch gewesen, „einmal bessere Lehrer“ sein zu wollen, hatten sogar gemeinsam die „Gruppe Bilderbuch“ gegründet. Doch die Praxis an der Schule enttäuschte ihn. Ebenso wie ihn die Reaktion seines Vaters enttäuschte, der ihn sofort enterbte, als er ihm seinen Entschluss mitteilte. Seine Frau Christine allerdings, mit der er seit 45 Jahren – kinderlos – verheiratet ist, unterstützte ihn.
Gemeinsam mit Dominik Graf komponierte er auch zahlreiche Filmmusiken
„Mein Vater spielte selber Geige und zeichnete hervorragend. Doch so, wie er nach dem Krieg gezwungen war, ein Fuhrunternehmen zu übernehmen, verlangte er auch von seinem Sohn, auf eine Ausübung seiner Talente als freier Künstler zu verzichten.“ Die Väter dieser Kriegsgeneration hätten nie gelernt, über ihre Erlebnisse zu sprechen, meint Spanner. „Sie hatten einfach keine Worte dafür.“ Eine Erfahrung, über die er sich häufiger mit dem Regisseur Dominik Graf austauschte, mit dem er früher gemeinsam das musische Gymnasium in Marktoberdorf besuchte.
„Dominik flog zwar bald von der Schule und wechselte auf ein Privatgymnasium. Aber Jahre später trafen wir uns zufällig wieder, und er fragte mich, ob ich mit ihm zusammen die Musik für seine Filme komponieren wollte“, sagt Spanner. Im Verlauf von zehn Jahren entstanden die Filmmusiken für zahlreiche „Fahnder“-Folgen, für den Jubiläums-Tatort „Frau Bu lacht“ und für das große Kinoprojekt „Die Sieger“.
Während er sich in musikalischer Hinsicht immer weiterentwickelt habe, sei er seiner künstlerischen Auffassung in puncto Bilderbuch immer treu geblieben. „Warum sollte ich etwas ändern?“ Schließlich beginne auch nach vierzig Jahren jedes Kind immer noch mit denselben Schritten.
Süddeutsche Zeitung, Barbara Hordych, 2021
Ein Karussell voller Musik
Helmut Spanner komponierte eine CD , von Alois Knoller
Die erzwungene Covid-19-Pause kann kreatives Potenzial wecken. So hat sich der beliebte Bilderbuch-IIlustrator Helmut Spanner („Ich bin die kleine Katze“, „Erste Bilder, erste Wörter“) wieder auf seine Liebe zur Musik besonnen. Im heimischen Studio in Nassenbeuren hat der in Augsburg geborene Künstler nun seine erste selbst komponierte und allein eingespielte CD mit dem Titel „Karussell“ produziert.
Wach geworden sei in ihm die Zeit in der Schülerband „The Smoking Chickens“ am Musischen Gymnasium in Marktoberdorf und seine Münchner Studienzeit, als er neben seiner Ausbildung an der Kunstakademie in diversen Tanzkapellen sein bescheidenes Salär aufbesserte, erzählt der bald 70-Jährige. Seine Instrumente waren und sind Gitarre und Bass. Das Klavier ist sowieso dabei.
Nun dreht er also sein Karussell zu tanzbaren, instrumentalen Pianosongs. Aus anfangs gemächlichen Runden bringt Spanner das nostalgische Jahrmarkt-Gefährt mächtig in Bewegung. Mal lässt er es rollen wie ein Schiff auf See, dann springen wie ein Kälbchen auf der Weide. Am Ende nehmen die Hörer bei einem zünftig stampfenden Tanz direkt teil am dörflichen Landleben mit Hahnenschrei, Schweinegrunzen und Muhen.
Dazwischen schwelgt Helmut Spanner in nostalgischer Erinnerung an Tanztee und Boogie Partys. Die Songs feiern ein unbeschwertes Leben und verströmen gute Laune. Sogar der Blues klingt bei ihm eher verträumt als traurig. Sein Freund, der Filmregisseur Dominik Graf, schreibt dazu, diese Songs „wirken wie ein Zitat aus einer anderen Zeit“ und transportieren „eine Lebenshaltung, die andere, ungebrochenere Gefühle mit sich gebracht hat als heute“. Ihre Fröhlichkeit sei frisch und immer sei eine harmonische oder melodische Überraschung darin verborgen.
Augsburger Allgemeine, Alois Knoller, 2020
Zu beziehen über die Homepage www.helmut-spanner.de sowie im Download bei Amazon,
Esslinger Zeitung, Interview von Stephanie Danner
Herr Spanner, an was arbeiten Sie gerade?
Momentan an gar nichts. Ich bin inzwischen 67 und wollte eigentlich meine Tätigkeit als Bilderbuchautor beenden, allerdings sage ich das schon seit etwa 20 Jahren.
Es werden bei „Ravensburger“ neben den Originalbüchern aber weiterhin sogenannte Zweitverwertungen neu erscheinen. Außerdem gibt es seit Anfang des Jahres eine neue Zusammenarbeit mit „Oberstebrink“, einem kleinen, pädagogisch sehr engagierten Münchner Verlag. Dort erschienen erst vor kurzem vier Pappbilderbücher mit kleinen Texten. Besonders freut mich, dass „Oberstebrink-Burckhardthaus“ meine Examensarbeit für die Kunstakademie München „Rund ums Pappbilderbuch“ veröffentlicht hat. Hier wird für alle Interessierten endlich mal der theoretische Hintergrund von Pappbilderbüchern und deren Wichtigkeit für den späteren Leselernprozess klarmacht.
Seit Jahrzehnten ist das Pappbilderbuch Ihr Metier. Woran erkennt man ein gutes Bilderbuch für die Kleinsten?
Daran, dass es die kleinen Kinder dort abholt, wo sie in ihrer Entwicklung tatsächlich sind. Ich habe z.B. eine Zuschrift bekommen, dass ein Kind seit zwei Jahren jeden Abend mein Buch „Ich bin die kleine Katze“ anschauen wollte. Dabei hat dieses Kind seine eigenen täglichen Erlebnisse in das Buch eingebaut. So etwas ist für mich ein Volltreffer, der natürlich seine Gründe hat. Es geht in diesem Alter nicht um den Text, sondern darum, dass ich die Kinder mit den Bildern emotional packe. So schicke ich z.B. die kleine Katze durch allerhand Ursituationen, die das Kind selbst erlebt wie essen, schlafen, einen Freund treffen, Angst haben, geborgen sein.... Dabei versuche ich alles so klar und detailliert darzustellen, dass auch ein kleines Kind die Chance hat, die Bilder zu erkennen. Das ist nicht selbstverständlich. Das Kleinkind hat nämlich gewaltige Probleme, die platten Abbildungen in einem Buch überhaupt zu erkennen. Ein Neugeborenes erkundet in dieser Entwicklungsphase erst langsam Schritt für Schritt seine reale, dreidimensionale Umgebung. Der Mund und vor allem die Hände spielen hier eine dominante Rolle, und das Kind lernt die Welt durch Greifen zu begreifen. Vor allem die verschiedenen Materialien der Dinge sind in dieser Entwicklungsphase für das Kind zur Unterscheidung der Dinge wichtig.
Materialien sind also wichtig. Und die Form?
Natürlich ist auch die Form der begriffenen Gegenstände wichtig. Diese taktile Phase ist die erste Stufe, die von der viel abstrakteren rein visuellen Wahrnehmung schrittweise abgelöst wird. Dann muss das Kind immer weniger die Dinge mit den Händen anfassen und allein deren sichtbare Form, also deren Erscheinungsbild reicht zum Erkennen aus.
Erklären Sie das an einem Beispiel.
Kleine Kinder nehmen eine Tasse, greifen hinein, spüren die Wandung, stecken ihre Finger durch den Henkel, sie fühlen die Härte des Materials und dessen Temperatur. Das alles macht für das Kind eine Tasse aus. Ein Löffel, ein Teddy etc. fühlen sich komplett anders an.
Und plötzlich kommt das platte, zweidimensionale Buch daher und alles, was das Kind bisher zur Unterscheidung der Dinge zur Verfügung hatte, gilt plötzlich nicht mehr. Nirgendwo kann es reinlangen, etwas umfassen, alles fühlt sich gleich an. Es weiß nicht mal, was hier oben und unten, und hinten und was vorne ist. Man kann oft beobachten, dass kleine Kinder Bilderbücher anfangs verkehrt herum halten, was nur heißt, das sie schlicht nicht erkennen, was das Abgebildete bedeuten soll.
Auch streichen die Kleinen oft mit ihren Händen über die Bilder und wollen die zweidimensionalen Dinge anfassen. So fremd ist ihnen diese platte Buchwelt. Sie ist Teil unserer Kultur und muss damit gelernt werden. So beginnt Lesen.
Wie zeichnen Sie zum Beispiel eine Banane?
Sie können eine Banane zeichnen, indem Sie einen schwarzen Umriss um eine gelbe Fläche ziehen. Solch eine Darstellung ist sehr weit entfernt von dem, was eine Banane bisher für das Kind ausgemacht hat, also Räumlichkeit und Material – neben dem Geschmack natürlich! Wenn Sie einem Kind nun 20 Mal das Wort „Banane“ zum Bild sagen, dann plappert das Kind dies irgendwann nach. Ich hingegen zeichne die Banane dreidimensional, möglichst klar und mit sichtbaren Materialien – also z.B. die Schale geöffnet und das Fruchtfleisch geriffelt. Eine solche Darstellung bietet die Möglichkeit,
dass das Kind das Bild selbst aktiv erkennt, zum Obstkorb geht, eine Banane holt und stolz: „Nane“ sagt. Psychologisch gesehen stärkt dieser Erfolg das kindliche Selbstbewusstsein.
Darüber hinaus eröffnet nur solch eine detaillierte Darstellung, möglichst viele differenzierte Begriffe zu bilden wie Schale und Fruchtfleisch.
Gibt es Kollegen, die ähnlich herangehen?
Es gibt es viele kreative Künstler, die Bilderbücher nach ihrer Vorstellung künstlerisch gestalten. Viele Erwachsene wiederum kaufen solche Bücher gerne, weil diese ihnen persönlich gefallen. Das ist alles verständlich, doch bleibt das Kleinkind beide Male unberücksichtigt. Aber natürlich gibt es auch Leute, die meine Herangehensweise intuitiv verstehen. Bewusst verstehen mich Gehirnforscher, Entwicklungspsychologen, Pädagogen und alle, die sich in die Wahrnehmung der Kinder hineindenken können.
Wenn Sie heute zeichnen: Was machen Sie anders als vor 40 Jahren?
Ich mache im Wesentlichen nichts anders. Das freut mich auch, denn ich erkenne darin eine Geschlossenheit meiner Arbeit. Ein freier Maler würde eher sagen: Ich habe mich in 40 Jahren kaum weiterentwickelt. Bei mir geht es aber vorrangig nicht um die Malerei an sich. Ein befreundeter Maler sagte einmal zu mir: „Ich versinke im Meer der Möglichkeiten der Malerei.“ Und ich antwortete spontan: „Das kann mir nicht passieren. Ich bade in einer Pfütze und da stehen lauter Kinder drum herum.“
Sie sehen sich also nicht als Künstler?
Natürlich habe ich einen künstlerischen und ästhetischen Ansatz, aber die entscheidende Frage ist dabei immer, was und wie ich etwas zeichne, damit es für das kleine Kind erkennbar ist und erst damit sein Interesse wecken kann.
Sie haben mehr als 12 Millionen Exemplare verkauft. Erfüllt Sie das mit Stolz?
Es macht mich schon stolz, wenn man bedenkt, dass meine Bücher nicht für ein Alter von 9-99 sind, sondern lediglich für ein Alter von einem halben bis drei Jahren. Eine gewisse Genugtuung ist mir auch, dass einige meiner Bücher selbst nach 40 Jahren immer noch auf dem Markt sind. Darunter zählt auch mein erstes Buch mit dem Titel: „Meine ersten Sachen“, das seinerzeit meine praktische Examensarbeit an der Kunstakademie Akademie war und mit „mangelhaft“ bewertet wurde. Die Banane stammt übrigens aus diesem Buch.
Reagieren manche Käufer auch negativ auf Ihre Zeichnungen?
Im allgemeinen bekomme ich sehr gute Rückmeldungen. Kritisch wird ab und zu bemängelt, dass in meinen Büchern ein Smartphone fehlt und ich damit nicht auf dem neuesten Stand sei. In meinem Buch „Erste Bilder Erste Wörter“ sind z.B. zwei Bären abgebildet, die über Schnurtelefone miteinander telefonieren. Nur so kann ich die Funktion der Dinge - in diesem Fall die Kommunikation - für die Kinder sichtbar und damit nachvollziehbar machen.
Meine Bücher sind dafür da, in die Welt des Buches einzuführen und damit auch das spätere Lesenlernen zu erleichtern. Ob ich hier etwas verändern kann oder verändert habe? Das weiß ich nicht.
Esslinger Zeitung, Stephanie Danner, 2018
Die Kunst, ein Pappbilderbuch zu kreieren
Ina Nefzer
Pappe kann jeder? Pustekuchen! Ein gutes Bilderbuch knüpft daran an, dass kleine Kinder ihre Umwelt mit Mund und Händen begreifen. Wie das Sinnliche und Haptische von Bildinhalten sichtbar wird, damit beschäftigt sich Helmut Spanner seit seinem Kunststudium. Das Ergebnis: über 12 Mio. verkaufte Exemplare von Klassikern wie „Ich bin die kleine Katze“ oder „Erste Bilder, erste Wörter“.
Herr Spanner, wie kann ein Bild das darstellen, was man erfühlen und ertasten kann?
Pappbilderbücher sind ja für Kleinkinder im Alter von 6-24 Monaten. Vor allem im ganz frühen „Lesealter“ erfreut sich das Kind an einzelnen Gegenständen aus seinem Umfeld. Diese kann man nun „fühlbar“ darstellen, indem man die Materialien der Dinge zeichnet, also z.B. die Fellhaare des Teddy, die Maserung des Holzes etc.
1-jährige Kinder müssen erst lernen, symbolische Darstellungen zu verstehen. Warum unterstützen sie realistische Bilder hierbei besser als abstrakte?
Weil realistische Bilder den realen Gegenständen ähnlicher sehen als abstrakte. Wenn ich einen Gegenstand räumlich zeichne und sein Material sichtbar mache, so ist für das Kind der Schritt vom realen Gegenstand zu dessen Abbildung kleiner, als wenn ich einen Gegenstand auf eine Umrisslinie und eine Farbfläche reduziere. Ich konnte bereits in meiner Examensarbeit „Rund ums Pappbilderbuch“ belegen, dass kleine Kinder derartige Darstellungen nicht erkennen und somit das Interesse am Buch nicht gelegt wird. Das frühe Erkennen von Bildern leitet den späteren Leselernprozess ein.
Wie detailreich sollten aus Ihrer Sicht erste Geschichten für Kleine illustriert sein?
Ich halte es für wichtig, dass möglichst viele Details einer Geschichte für das Kind erkennbar, bedeutbar und benennbar sind. Gut ist auch, wenn einzelne Dinge auf verschiedenen Seiten wiederkehren. Dadurch wird dem Kind die Erkenntnis erleichtert, dass die einzelnen Seiten zusammengehören und eine Geschichte bilden. Großen Spaß macht es Kindern auch, wenn sie auf jeder Seite ein wiederkehrendes Motiv entdecken können.
Für Sie nachgehakt, Ina Nefzer, 2017
Buchillustrationen im Original
Fast jeder kennt Helmut Spanners Bilderbücher und für viele sind diese der Einstieg in die Literatur gewesen. Pappbilderbücher wie „Erste Bilder – Erste Wörter“ oder „Ich bin die kleine Katze“ sind zu Klassikern der Bücherwelt geworden und gehören bis zum heutigen Tag in jedes Kinderzimmer. 1977 veröffentlichte Spanner sein erstes Pappbilderbuch beim Ravensburger Buchverlag. Seither sind viele gefolgt, so dass bis zum heutigen Tage über 12 Millionen verkauft wurden. Mittlerweile ist neben der bayerischen Metropole München auch das Allgäu zur Wahlheimat Spanners geworden. Hier zeigt nun das Heimatmuseum Buchloe, Rathausplatz 9, vom 5. Mai bis 5. Juni 2017 an jedem Sonn- und Feiertag jeweils von 14 bis 17 Uhr eine Werkschau des Meisters.
Spanner, gebürtiger Augsburger, studierte nach dem Abitur am Musischen Gymnasium in Marktoberdorf an der Kunstakademie München. Dort war er Mitbegründer der „Gruppe Bilderbuch“, die sich intensiv mit Kinderbüchern beschäftigte. In seiner Examensarbeit „Rund ums Pappbilderbuch“ untersuchte er, wie Kinder lernen die Welt wahrzunehmen. Pädagogische Überlegungen prägen seitdem die inhaltliche wie stilistische Ausrichtung seiner Bücher. Im „Lesen“ von Bildern sieht er die Vorstufe des Lesens von Texten, deshalb die realistisch gezeichneten Dinge und detailreichen Situationen.
Infos: www.helmut-spanner.de und facebook.com/helmutspanner.bilderbuch.
Das Besondere dieser Werkschau: Im Original sind viele der Illustrationen zu sehen, die im Druck weite Verbreitung gefunden haben. Vorzeichnungen und die Bücher selbst runden das Ganze ab.
Literatur Garage, Mai 2017
https://literaturgarage.de/?s=Helmut+Spanner
„Ich bin ein Dienstleister für Kinder“ - Helmut Spanner im Porträt
Von Katrin Baumer, für medien.bayern, 27. April 2016
Helmut Spanners Wohnung ist hell, an den Wänden hängen seine Zeichnungen – liebevoll gestaltete und farbenfrohe Tiere – auf dem Tisch im Arbeitszimmer liegen zahlreiche seiner Bilderbücher, darunter auch das Erstlingswerk „Meine ersten Sachen“, das Spanne) bereits während seiner Studienzeit zeichnete. Spanner selbst sitzt lässig am Schreibtisch, einen anstrengenden Tag hat er hinter sich, voll mit Interview-Terminen, trotzdem ist er hellwach, in seine Augenwinkeln sitzt der Schalk. Gleich zwei Gründe hat der Zeichner 2016 zum Feiern: Seinen 65. Geburtstag und sein 40-jähriges Jubiläum als Kinderbuchautor mit über 11 Millionen verkauften Büchern.
Die Liebe zum Zeichnen entdeckte der gebürtige Augsburger bereits in der Grundschule. Und auch sein Talent haben die Lehrer damals bereits gesehen, auch wenn das Bild, das den Ausschlag gab, eher ungewöhnlich war: Eine sehr detailreiche Darstellung der Schlacht auf dem Lechfeld.
Spanner lächelt breit, als er sich an die Geschichte dazu erinnert: „Ich habe mir das Motiv vorgestellt wie eine Ritterburg, die erstürmt wird. Mein Cousin erzählte mir dann, dass das ganz anders war. Ein offenes Feld und alle sind aufeinander losgestürmt. Meine Fantasie war angekurbelt. Es gab auf meinem Bild 28 Tote!“ Die abgeschlagenen Köpfe und die toten Pferde habe er besonders detailliert dargestellt – zu detailreich für den Geschmack seiner Lehrer. „Die haben sich bei meinen Eltern erkundigt, ob alles ok ist bei mir!“, erzählt der Bilderbuchautor lachend. „Auf der anderen Seite hat die Lehrerin mein Bild in der 8. Klasse als Vorbild ausgestellt, weil es so gut war! Besonders schwergefallen sind mir die Hinterläufe der Pferde, daran erinnere ich mich“.
Realismus als Schlüssel zum Erfolg
Aus dieser Erinnerung lässt sich bereits herauslesen, wodurch sich Spanners weitere Arbeit auszeichnet: Der Anspruch an seine Bilder, realistisch zu sein – und kompositorisch zu funktionieren. „Manchmal sitzt man da als hätte man noch nie einen Pinsel in der Hand gehabt“, erklärt Spanner. „Das sind Tage, da läuft einfach nichts. Da liege ich teilweise depressiv im Bett und frage mich:„Wie funktioniert dieses Bild als Ganzes? Und plötzlich kommt’s - und dann ist das Bild in zehn Minuten gezeichnet.“ Er wolle alles so detailliert wie möglich darstellen, denn Kinder, weiß er, sind ein kritisches Publikum: „Ich bin ein Dienstleister für Kinder. Sie lernen mit meinen Büchern lesen! Das wird total unterschätzt! Wenn die Kinder nicht erkennen, was auf einem Bild abgebildet ist, dann schmeißen sie es weg.“
Mit diesem Ansatz befasste sich Spanner bereits während seines Studiums an der Kunstakademie in München. Hier gründete er mit anderen Studenten die „Gruppe Bilderbuch“, die sich mit inhaltlichen, künstlerischen, aber auch psychologischen Fragen zum Thema Bilderbuch befasste. Denn: „Wir wollten nicht Bilder malen, von denen Leute später sagen „Passt das zu unserem Sofa“, wir wollten die Welt verändern!“ Diesem Plan kam der erste Kontakt zum Ravensburger Verlag entgegen. Denn der Verlag suchte neue Konzepte für Pappbilderbücher – ein Feld, das Spanner zuvor nicht im Blick gehabt hatte. So ging auch seine Abschlussarbeit „Rund ums Pappbilderbuch“, mit all seinen Erkenntnissen über die kindliche Wahrnehmung, die er als Grundlage für all seine Bücher nimmt. „Bei Ravensburger hatte ich Glück. Ich habe Kinderbücher analysiert und gesagt, die Kinder sehen einfach nicht, was das sein soll, das muss man anders zeichnen! Und die dachten: „Lasst den jungen Hüpfer mal machen. So entstand das Buch „Meine ersten Sachen“.
Der Philosoph unter den Kinderbuch-Autoren
Mit seiner einzigartigen Herangehensweise erreicht Spanner sein junges Publikum nun seit 40 Jahren. Woran das liegt, weiß die ehemalige Betreiberin der Kinderbuchhandlung Leanders Leseladen und schwärmt: „Helmut Spanner ist der Philosoph unter den Autoren für Kinder. Seine Bilder sind optimal lesbare Bilder für Kleinkinder, die erst einmal Erfahrungen mit Begriffen verknüpfen müssen, um sie lesbar zu machen.“
Das liege daran, vermutet die Gründerin des Vereins Leseleben, dass er sich perfekt in die Weltwahrnehmung von Kindern einfühle. Und auch Spanner sagt: „Ich habe eben mit Zweijährigen zu tun! Und die haben ganz andere Probleme als ältere Kinder oder Erwachsene. Das Sehen ist noch unscharf, die Wörter werden nicht verstanden – das ist so, als würden wir einen verwackelten chinesischen Film ansehen. Nur, dass ein Erwachsener wenigstens noch weiß, dass er auf einem Stuhl sitzt und einen Film sieht. Kleine Kinder wissen das nicht. Und das ist der Punkt, an dem ich sie abhole.“
Abgeholt werden die Kinder, so Hoffmann, die Seminare zur kindlichen Lesart von Bildern gibt, nach einem Art Reißverschluss-System. „Kinder wollen etwas sehen, was sie auch erkennen können. Das leisten Helmut Spanners Bücher. Da ist etwas Bekanntes, und es kommt etwas Neues hinzu. Nehmen wir zum Beispiel das Bild einer Küche: Eine Pfanne kennt das Kind vielleicht schon, Kuchen backen aber nicht. Das wird ihm bewusst, wenn es auf den Bildern gesehen und dann in der Wirklichkeit erlebt wird.“
Zeichner ohne Kompromisse
Gerade die pädagogische Komponente, das Erzieherische, war schon immer ein wichtiger Aspekt für Spanner. Einer, den er zum Beruf machen wollte – wenn auch nicht als Kinderbuchautor. Ursprünglich hatte er vor, Lehrer zu werden. So wie seine Frau Christine, die er seit dem Studium kennt, und die ihn immer unterstützt hat, teilweise von Beginn an an der Konzeption seiner Bücher beteiligt ist. Warum aber dann doch die Entscheidung gegen die Schule? „Das Referendariat war mir zu unkreativ. Wenn zum Beispiel ein Schüler zu mir sagt: Ich kann nicht zeichnen, aber ich mache gute Fotos, dann sage ich: Bring deine Fotos mit. Meine Aufgabe ist doch nicht, dass da ein Heer von Zeichnern hergezüchtet wird!“
So wurde Spanner selbst Zeichner. Und zwar ohne Kompromisse. Sogar enterbt haben ihn seine Eltern, als er sich für diese Laufbahn entschied. Das aber, so der Kinderbuchautor, habe ihn in seiner Entscheidung nur bestärkt. Bezeichnend ist Spanners eigenes Lieblingsbuch als Kind: „Hanselmann hat große Pläne“ von James Krüss. „Hanselmann will einfach alles werden. Und er macht das dann auch. Die Botschaft an die Kinder ist hier: „Ich hab’ sämtliche Möglichkeiten“ Das ist Balsam für eine Kinderseele!“ Balsam, den Spanner nun selbst weitergibt, findet Gabriele Hoffmann: „Seine Bücher erziehen Kinder zu mehr Selbstbewusstsein. Sie machen mit ihnen die Erfahrung: Ich kann lesen.“
Leseleben.de
Ich bin in einer Pfütze tätig und um mich herum lauter Kinder
Zum 40jährigen Jubiläum – ein Interview mit Helmut Spanner von Gernot Körner
https://literaturgarage.de
Literatur beginnt beim Pappbilderbuch. Es ist oftmals der Zugang zu allen anderen Büchern. Und je nach Qualität ist es mitentscheidend für unser späteres Verhältnis zum Buch.
Niemand hat hierzulande das Pappbilderbuch so stakt geprägt wie Helmut Spanner. Vor 40 Jahren veröffentlichte er mit „Meine ersten Sachen“ sein erstes Werk. Seither sind von ihm viele Bücher erschienen, die Generationen von Kindern geprägt haben. 11,3 Millionen Bücher gingen mittlerweile über den Ladentisch und der Erfolg hält weiter an. In seiner Münchner Wohnung hat er uns vieles über seine Schulzeit, seinen Werdegang und vor allem über das Pappbilderbuch erzählt.
Deine Schulzeit war nicht unbedingt wegweisend für Deinen späteren Beruf. Was ist damals geschehen?
Ich wollte schon immer einen künstlerischen Beruf ausüben. Auf dem musischen Gymnasium Marktoberdorf hatte ich selbstverständlich die Hauptfächer Musik und Zeichnen. Ich bin da schon mit der Note 4 in Musik und der Note 4 im Zeichnen entlassen worden. Wenn ich das heute Freunden erzähle, können die das gar nicht begreifen, zumal ich damals schon Kompositionen geschrieben habe. Aber Komposition stand eben nicht auf dem Lehrplan. Und damit war das nicht gefragt. Also der Inbegriff von Musik ist gar nicht gefragt. Es sind gewisse Fertigkeiten gefordert, etwa wie man vom Blatt spielen kann. Das ist für mich noch immer eine Katastrophe. Bei mir läuft Musik anders.
Lässt sich das auch auf das Zeichnen übertragen?
Die ganze pädagogische Schiene lief bei mir völlig daneben, so lange ich denken kann. Die Grundschule war noch völlig in Ordnung. Aber dann ging es schon beim ersten Gymnasium in St. Stephan los. Ich bin Zeichner. Der Kunsterzieher kam damals aus dem Expressionismus. Da mussten wir die Bänke hochklappen und mit freier Hand und ausgestrecktem Arm Bilder malen. Da er uns aber nicht erklärte, dass es dabei wichtig ist, das Wasser zuerst aus dem Pinsel zu drücken, lief uns reihenweise die Farbe über die Bilder. Dafür hätte es auch zum Austupfen Schwämme gegeben. Das hat er uns aber nicht verraten. Mit der Methode war ich als Zeichner schon untendurch. Sie war mir als Schüler nicht angemessen.
Das waren ja regelrecht traumatische Erlebnisse. Aber Du hast dennoch immer weiter gemacht.
Letztlich hat mich das nicht so beeindruckt. Was mir damals fehlte, war Anerkennung. Ich war ja nicht schlecht im Zeichnen. Nur grundsätzlich wollten die Lehrer von mir immer etwas anderes als die Fähigkeiten, die ich damals schon hatte. Das ist der zentrale Punkt der Pädagogik. Das war auch der Grund, warum ich Pädagogik studieren wollte. Schließlich habe ich damals erfahren, wie man es als Lehrer nicht machen sollte.
Und dann hast du Lehramt studiert.
Ja, auch weil ich immer mit Jugendlichen arbeiten wollte. Während des Studiums kam ich dann an zwei Münchner Schulen. Und hier lief schon wieder genau das, was am Gymnasium schief ging. Auch hier war nicht das wichtig, was bei den Schülern angelegt war, sondern das Gymnasium will eben nur das vermitteln, was es selbst will. Die Schule setzt einfach nicht am Individuum an. Sie versucht nicht das rauszuholen, was im Schüler steckt und das zu verbessern. Schlimmer noch, der Schüler interessiert letztlich gar nicht. Das war für mich eine ganz schlimme Erfahrung. Schließlich habe ich an der Schule aufgehört. Ich war damals knapp 30 Jahre alt. Der Schuldirektor war sehr nett. Er sagte, „Herr Spanner, wie Sie über Kinderbücher reden ... Sie sollten Kinderbücher machen.“ Ich hatte schon zwei Kinderbücher gezeichnet. Und zu der Zeit hat mich der Erfolg vom Katzenbuch überholt. Es war mir klar, dass dies meine Existenz sein könnte. Mein erstes Buch mit dem Titel „Meine ersten Sachen“ hatte ich bereits mit 25 veröffentlicht. Das Buch gibt es heute noch.
Lass uns noch einmal auf Deine Zeit an der Kunstakademie zurückgehen. Wie war hier dein Einstieg?
An der Kunstakademie wurde ich zuerst abgelehnt. Nach einem halben Jahr ging ich dann persönlich dort hin, und zwar mit denselben Arbeiten und habe diese bei Herrn Professor Thomas Zacharias eingereicht. Ich habe ihn gefragt, warum ich nicht angenommen wurde. Nachdem er das selbst nicht mehr wusste, hat er mich aufgenommen.
Meine Abschlussarbeit für die Akademie der bildenden Künste war mein erstes Pappbilderbuch, eben jene „Meine ersten Sachen“. Dafür habe ich die Note 5 bekommen.
Wie kam denn das?
Das Pappbilderbuch war für die Leute an der Akademie keine Kunst. Das Buch wendet sich an ein Publikum, an Kinder, damit ist es angewandt. Kinderbuch ist Illustration und gilt vielen schon als niedere Kunst. Und nun geht einer noch weiter hinunter, kniet sich vor Zweijährigen und macht für die was. Da war für die Professoren der Ofen aus. Das verstanden sie nicht. Letztlich war die Akademie für mich vertane Zeit. Denn auch Handwerk lernt man dort nicht. Das sieht die Akademie nicht als ihre Aufgabe. Ich bin Autodidakt geblieben.
Dennoch war die Akademie für Dich Ausgangspunkt zu Deinem späteren Werk.
Wir kamen an die Akademie. Es war Umbruchszeit, also Nach-68er. Für uns war klar, wir wollen später mal keine Bilder malen, bei denen sich irgendjemand fragt, „passt das Bild zu meinem Sofa?“ Das war uns zu wenig anspruchsvoll. Wir wollten die Welt verändern und bei den Kindern anfangen. Wo sonst? So haben wir die Gruppe „Bilderbuch“ eröffnet. Darunter waren mit mir drei bis vier leitende Studenten. Illustration hat uns fasziniert. Wir haben in den Bilderbüchern einen Ansatz gesehen, um nach außen zu gehen. Toll war, es waren damals Gründerzeiten.
Wir waren an der Akademie, hatten aber kein einziges Bilderbuch. Schließlich schrieben wir die Verlage an, dass sie uns zumindest ihr aktuelles Programm schickten. Und innerhalb eines Monats hatten wir einen ganzen Schrank voller Bücher.
Was habt ihr dabei erkannt?
Wir haben uns dafür interessiert, was in den Kinderbüchern vermittelt wird. Die Mädchenrollen waren inaktiv, die Jungen hatten die aktiven Rollen. Da wir alle auch kunstinteressierte Leute waren, sind wir nicht nur inhaltlich rangegangen, sondern auch vom bildnerischen her. Wir haben nach Klischees gesucht. Das war eine Situation von Gleichgesinnten und Gleichaltrigen, ohne Konkurrenz zu lernen. Hier wurde die Leidenschaft geweckt.
Wie kamst Du von hier aus zum Pappbilderbuch?
Thomas Zacharias hatte bereits ein Buch bei Ravensburger verlegt. Dadurch saßen Leute von Ravensburger plötzlich an der Kunstakademie – Gisela und Christian Stottele. Sie wurden auf uns aufmerksam und besuchten uns. Allerdings haben sie fast alles abgelehnt. Aber sie suchten für Pappbilderbücher neue Konzepte. Wir wussten damals noch gar nicht, was Pappbilderbücher sind. Dennoch entwickelten wir dann für 500 Mark pro Kopf Pappbilderkonzepte. Wir mussten ein zehnseitiges Konzept zeichnen und zwei Originale dazu abgeben.
Die Zeit war reif und unsere Ideen wurden zumindest zum Teil verwendet; allerdings nicht mit uns.
Warum hast du dann doch Dein erstes Pappbilderbuch bei Ravensburger veröffentlicht?
Die zwei Originale, die ich damals abgegeben hatte, benötigte ich für mein Examen. Sie kamen einfach nicht mehr zurück. Woraufhin ich dann nach Ravensburg fuhr. So stand ich an einem Feiertag, den es in Bayern nicht gab, vor dem Verlagsgebäude. Ich wollte da rein und dann rief mir einer aus einer Entfernung von rund 30 Metern zu, „das sehe ich schon von weitem: Sie sind ein Künstler!“ Später erfuhr ich, dass das der Verleger Otto Julius Maier war. „Ja, das mag schon sein, dass ich ein Künstler bin. Aber ich mag jetzt da rein. Warum ist da zu?“, antwortete ich. Ich erfuhr dann, dass Feiertag sei, und sollte am nächsten Tag wieder kommen.
Leider waren wegen eines redaktionellen Wechsels dann die Bilder verschollen. Beim Suchen habe ich der neuen Redakteurin erklärt, ob sie wüsste, dass sie mit Dick Bruna Bücher machten, die Kleinkinder nicht verstehen. Denn damals arbeitete ich bereits an meiner Abschlussarbeit und hatte an 50 Kindergartenkindern die Zeichnungen von Dick Bruna getestet. Keines der Kinder konnte mir sagen, was auf einem bestimmten Bild von Dick Bruna drauf war. Es war ein Bild, auf dem ein Bild an der Wand abgebildet war, das einen Opa zeigte.
Das fanden die Ravensburger interessant. Schließlich haben sie mich ein Pappbilderbuch machen lassen.
Wie ging es dann weiter?
Gerlinde Wincierz war damals neu im Verlag und nahm mich in das Programm auf. Wir haben zwölf Bilder durchgesprochen und das war „Meine ersten Sachen“. Später sollte ich dann vier Bilder neu machen. Wie ein Fischhändler habe ich sie dann runter gehandelt. Ich musste einen Kamm statt einer Bürste zeichnen. Für den Kamm habe ich sechs Wochen gebraucht. Mein innerer Widerstand war einfach zu groß. Kleinkinder werden nicht mit einem Kamm gekämmt, sondern eben mit einer Bürste. Außerdem ist die Bürste vom Zeichnerischen her einfach schöner und interessanter.
Was fasziniert Dich vor allem am Zeichnen für Kleinkinder so?
Bei den Kleinkindern geht es nur um ursprüngliche, einfache, existenzielle Dinge. Das hat mit den großen politischen und gesellschaftlichen Themen, die uns Tag für Tag berühren, nichts zu tun. Das war für mich reizvoll.
Warum glaubst du, dass Deine Bücher so gut beim Publikum ankommen?
Ich glaube zum einen, die Ravensburger haben einen tollen Vertrieb. Ich glaube aber auch, dass meine Bücher die Kinder genau da abholen, wo sie stehen. Die Kinder kommen von der Greiferfahrung. Sie kommen über die Hände. Die visuelle Wahrnehmung ist am Ende des zweiten Lebensjahres erst führend. Das heißt, die taktile Wahrnehmung, die Greiferfahrung, ist wichtig, ist eine Vorstufe der rein abstrakten visuellen Wahrnehmung. So lernen die Kinder durch Greifen Wahrnehmung – sie begreifen.
Was früher etwa einen Tasse war, in die das Kind reingreifen konnte, taucht jetzt im Buch auf. Hier kann es aber nicht mehr reingreifen. Es kann die Tasse auch nicht mehr umfassen. Es ist eine platte Welt. Die reale Tasse ist Natur und das Buch ist Kultur. Für einen Erwachsenen ist das alles völlig normal. Ein Kind steht aber vor einer völlig unbekannten Welt.
Die ganzen Kriterien, die sich das Kind durch Greifen und Fühlen erarbeitet hat, gelten plötzlich nicht mehr. Das heißt, es muss das Bildzeichen völlig neu lernen. Das versuche ich, den Kindern zu erleichtern, indem ich die Räumlichkeiten darstelle. Indem ich im Grunde möglichst nah am Sehbild bleibe und nicht am Gedankenbild.
Kannst Du das noch weiter konkretisieren?
Wenn ich den Gegenstand auf Linie und Fläche reduziere, dann weiß ein Erwachsener zwar, was das sein soll. Es ist aber letztlich ein Gedankenbild. Es hat wenig mit der Seherfahrung zu tun. Die Kinder sehen das Gleiche wie wir. Der Unterscheid ist, wir haben unser Sehbild durch millionenfache Erfahrungen ausgeprägt. Wir wissen genau, das ist ein Stuhl, das ist eine Heizung ... Die Begriffe sind da. Beim Kind ist die Software noch weitgehend unbeleckt. Der Gehirncomputer ist hervorragend, saugt auf wie ein Schwamm. Aber alles muss zunächst erlernt werden.
Wie gehst du mit Deinen Zeichnungen darauf ein?
Je weiter die Bilder aus dem Greifbereich hinausgehen, desto schwieriger sind sie zu erkennen, desto abstrakter sind sie. Deshalb müssen sich Pappbilderbücher für kleine Kinder möglichst nahe an die Realität halten. Meine Sachen sind nicht vom Erscheinungsbild her, sondern geistig reduziert. Das heißt etwa, dass ich eine Tasse ohne irgendwelche Muster zeichne. Weil ein Kind sonst die Muster mit der Tasse mitlernen würde. Das führt dann später im schlimmsten Fall zu Vorhängen mit Blumenmuster.
Allerdings muss alles, was funktional zur Tasse gehört, da sein – die Wandung, man muss sehen, dass es reingeht, also dass man etwas reintun kann und der Henkel ist wichtig von der Funktion her, dass man sich die Finger nicht verbrennt. Das ist geistig das Wichtige an der Tasse. Alles andere ist austauschbar.
So versuche ich das Wesentliche an den Gegenständen zu betonen und was nicht nötig ist und keine Funktion hat, lasse ich weg.
Wenn ich in den Laden gehe, um ein Buch für ein zweijähriges Kind zu kaufen, wonach sollte ich schauen?
Nahe an der Realität muss es sein, ästhetisch, also geschmacksbildend, es muss einfach sein, echt und ohne Unstimmigkeiten, emotional...
Aber wie können denn Gegenstände für Kinder emotional sein? Vor allem dann, wenn sie wie bei dir auf das Wesentliche reduziert sind?
Selbstverständlich sind Gegenstände für Kinder emotional. Wenn ein Kind etwa einen Ball sieht, lacht das Kind, weil seine ganzen Erfahrungen, die es mit dem Ball gesammelt hat, beim Anblick des Bildes hochkommen. Voraussetzung ist, der Ball wird als solcher erkannt. Wenn ich aber als Ball nur einen Umriss und eine Fläche zeichne, dann kann es auch eine Sonne, ein Teller oder eben ein Ball sein. Das Bildzeichen wird dann zu offen, zu abstrakt, und das Kind hat nicht mehr den direkten emotionalen Zugang.
Es ist nicht der freie künstlerische Stil, der im Pappbilderbuch gefragt ist. Die Ansprüche gehen vom Kind aus. Ich kann mich eben nicht als freier Maler im Pappbilderbuch verwirklichen. Da bin ich falsch. Das ist eine andere Kategorie. Es geht um die Kinder. Aber nicht in dem Sinne, nur das zu befriedigen, was die Kinder sehen wollen.
Wie wichtig ist dabei die Pappe?
Sehr wichtig: Die Kinder beißen natürlich rein. Sie essen die Pappe. Ich bekam mal ein Buch zu sehen, da war tatsächlich nur noch eine halbe Seite da. Und die Eltern bestätigten mir, der Rest ist weg. Die Bücher müssen etwas aushalten. Die Kinder haben einen ganz intensiven Umgang damit.
Hat sich in den vergangenen 40 Jahren etwas in der Wahrnehmung der Menschen verändert?
In der Wahrnehmungsentwicklung der Kleinkinder hat sich garantiert nichts verändert. Das geht in 10.000-Jahresschritten. Die Frage ist immer, wo man ansetzt: bei den Kindern, bei der Mode oder bei den verschiedenen künstlerischen Auffassungen. Ich setze bei den Kindern an. Mir ist es vollkommen klar, wie Kinder wahrnehmen.
Wenn Bücher von dir erscheinen, schaust du dir diese gemeinsam mit Kindern an?
Im Allgemeinen nicht. Ich habe das letzte Mal aber mit „Nasi und Mausi“ eine Testperson gehabt. Das war wichtig, weil meine Lektorin bezweifelte, dass das Buch mit kleinen Kindern funktioniert. So konnte ich ihr doch ziemlich eindrücklich beweisen, dass es eben doch funktioniert. Mittlerweile beweist es die verkaufte Auflage zusätzlich.
Ansonsten bin ich mir sicher, dass ich mich auf einer kindlichen Ebene befinde. Ich habe nach all den Jahren einen sehr guten Zugang dazu. Allerdings ist es ganz schwer zu beschreiben, woher das kommt.
Nach 40 Jahren mit all deinen Büchern, was war dein schönstes Erlebnis?
Mein schönstes Erlebnis war, als ein Buch von mir zusammengestellt wurde, das heute nicht mehr auf dem Markt ist. Das war damals ein Papierbilderbuch. Das Buch erschien zu meinem 30jährigen Jubiläum, um zu zeigen, was ich seither so gemacht hatte. Als ich damals das Muster in Ravensburg bekam, fuhr ich mit dem Zug heim, sah mir das Buch an und dachte mir, das ist ja eigentlich eine geschlossene Sache. Obwohl zwischen der linken und rechten Seite teilweise 20 Jahre Unterschied waren. Das war ein unglaubliches Glückgefühl. Weil das, was ich in den vergangenen 30 Jahren gemacht hatte und nun in Händen hielt, komplett zusammenpasste. Für mich ist das eine Bestätigung, dass es bei mir nicht um mein Handwerk, sondern immer um die Kinder geht. Es ist halt kein Ego-Trip, bei dem ich den Leuten zeigen will, wie toll ich malen kann, sondern es geht vom Kind aus. Und das ist immer dasselbe.
Als mir der Maler Rabe Habdank aus Berlin schrieb, er versinke im Meer der Möglichkeiten der Malerei, antwortete ich ihm, dass mir das nicht passieren könne. Ich bin in einer Pfütze tätig und um mich herum stehen Kinder.
Hast du nach 40 Jahren die Nase voll von Pappbilderbüchern?
Grundsätzlich nicht. Wobei die Entwicklungen in den Verlagen heftiger werden. Ich wünsche mir einfach mal eine Ausstellung mit meinen Zeichnungen in einem größeren Rahmen. Und ich würde mir mehr Anerkennung für mein Metier wünschen. Ich halte das Pappbilderbuch für sehr wichtig, weil es der Einstieg ins Buch ist, weil es das spätere Lesenlernen beschleunigt, weil es ganz klar ist, dass wir den Kindern entwicklungsgerechte Dinge geben müssen, die sie emotional fesseln. Damit die Kinder in die Bücher reingehen, weil die erste Erfahrung mit dem Buch gut ist.
Und was planst du für die Zukunft?
Ich werde künftig wieder mehr Musik machen. Bei mir sind rund 1200 Kompositionen da, die ich in einer Vorstufe aufgenommen habe. Daran möchte ich arbeiten und hoffe, dass zehn gute dabei sind.
Das heißt aber nicht, dass ich das Interesse an Büchern verloren habe. Ich merke schon wieder, dass sich im Kopf eine Menge tut. Ideen habe ich bis zum Grabdeckel. Es sind genügend Konzepte da. Ich weiß nur nicht, wann ich das zeichnen soll. Das ist immer eine große Aufgabe. Am Katzenbuch saß ich eineinhalb Jahre. Am Bärenbuch saßen wir zu dritt knapp zwei Jahre. Ich arbeite nicht digital, weil ich ein Original haben möchte. Das hat für mich eine andere Qualität.
PORTRÄT
Millionen lieben seine Bilderbücher
Autor Helmut Spanner hat in Nassenbeuren eine zweite Heimat gefunden. Das kommt auch seiner Arbeit zugute. Von Manuela Frieß
Der Blick aus dem Wintergarten wandert in den herbstlichen Garten, weiter zur gelb leuchtenden Kapelle Maria Schnee und den bereits kahlen Lindenbäumen der Allee. „Irgendwie passt das hier alles wunderbar. Die tolle Aussicht, die Ruhe und dass Christoph von Schmid hier ebenfalls beheimatet war“, erzählt Helmut Spanner enthusiastisch. Seit einigen Jahren ist er zusammen mit seiner Frau Christine in Nassenbeuren. Eigentlich wohnen beide seit ihrer Studienzeit in München, als jedoch die Eltern von Christine Spanner älter und pflegebedürftiger wurden, haben sie immer mehr Zeit im Unterallgäu verbracht und nach dem Tod der beiden, das Haus übernommen und renoviert. Jetzt sind sie in München und Nassenbeuren zu Hause.
Apropos Christoph von Schmid: Der ist übrigens nicht nur Autor von „Ihr Kinderlein kommet“, sondern auch von Kinderbüchern. Der Seelsorger aus dem 18. Jahrhundert ist jedoch nicht mehr dafür bekannt. Auch den Namen Helmut Spanner kennen die wenigsten. Sieht man aber eines seiner Bücher, erkennt man seine typischen Zeichnungen. Und dort liegt auch die Krux: Kinderbücher werden nicht von denen gekauft, für die er sie macht, sondern von deren Eltern, Opas und Omas. Und die Kinder, die mit seinen Büchern aufgewachsen sind, werden sich garantiert nicht an den Namen erinnern.
Als Student war er in der "Gruppe Pappbilderbuch"
Aber vielleicht an seine Zeichnungen. Das hofft der 64-Jährige wenigstens, denn darauf legt er besonderen Wert. „Meine Bücher sind oft der erste Kontakt mit einer zweidimensionalen Darstellung der Welt“, erklärt Helmut Spanner, „und deshalb müssen die Zeichnungen darin so realistisch wie möglich sein.“ Und das beruht nicht auf den neuesten Erkenntnissen von Neurologen, das hat er mit seinen Besuchen im Kindergarten schon vor 40 Jahren festgestellt. Als Student an der Akademie der bildenden Künste in München gehörte er der „Gruppe Pappbilderbuch“ an, die sich mit den ersten Büchern für Kinder sehr intensiv auseinandergesetzt hat.
Viele der Ergebnisse, die er dabei gesammelt hat, wurden mittlerweile von der Wissenschaft bestätigt. Seine damalige Abschlussarbeit jedoch wurde mit einem „Mangelhaft“, also einer Fünf benotet. Trotzdem ist das mit der Arbeit abgegebene Buch: „Meine ersten Sachen“ ein Verkaufsschlager im Buchhandel. Ein Buch, das nicht nur ein Bestseller, sondern vor allem auch ein Longseller ist. Nimmt man alle Bilderbücher von Helmut Spanner zusammen, hat er in den fast 40 Jahren über elf Millionen Bücher verkauft. Dabei wollte er eigentlich einmal Lehrer werden.
Seine Philosophie über Kinderbücher und seine Erkenntnisse über Wahrnehmung im Kindesalter sind fundiert. Und die will er durchsetzen, dafür nimmt er in Kauf, dass man ihn einen Sturschädel nennt und dass er je nach Projekt manchmal bis zu anderthalb Jahren an den Zeichnungen sitzt. „Wie lange es manchmal braucht, bis erst das Konzept steht oder der Titel passt, das glaubt man als Außenstehender gar nicht“, berichtet der Bestsellerautor.
Am liebsten arbeitet er im Wintergarten
Sein Lieblingsplatz für die Arbeit ist im Wintergarten. Dort gibt es nicht nur hunderte Stifte und Farben, sondern auch genügend Ruhe und Inspiration. „Ich dachte früher, dass ich es genießen würde, auch in Cafés zu sitzen und dort zu arbeiten. Dann habe ich gemerkt, dass ich gar kein Kaffeehaus Typ bin“, erzählt er
und lacht. Stattdessen fotografiere er jetzt lieber die Hühner der Nachbarin, um realistische Bilder der Henne mit Küken zeichnen zu können.
Auch wenn Helmut Spanner hauptsächlich mit Zeichnungen seinen Lebensunterhalt verdient hat, eine weitere Leidenschaft ist die Musik. Gemeinsam mit seinem Freund, dem Regisseur Dominik Graf hat er viel Filmmusik komponiert und arrangiert. Und außerdem noch viele hunderte Melodien und Arrangements schon im Kopf. „Deshalb mache ich auch bald keine Bücher mehr, denn die vielen Stücke wollen ja auch noch komponiert werden“, erklärt der gebürtige Gersthofener. Dabei wirkt er so energiegeladen und gut gelaunt, dass man ihm diese große Zahl definitiv zutraut.
Auch wenn er seine Zeichnungen per Hand anfertigt, der 64-Jährige ist auf dem neuesten Stand der Technik. Nicht nur was die Musik anbelangt. Seine Zeichnungen fügt er selbst am Rechner zusammen, mithilfe eines Hirnforschers hat er eine App entwickelt und seit einigen Monaten verbringt er viel Zeit mit seinen Projekten auf seiner Homepage und seiner Facebook-Seite. Dabei will er seine Erkenntnisse in puncto kindlicher Wahrnehmung endlich einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen. Dass er dabei aber noch nicht so weit gekommen ist, wie er gern wollte, macht ihn ganz fuchsig. Aber wer so viel Energie und Leidenschaft ausstrahlt wie er, wird damit bestimmt auch noch fertig.
Augsburger Allgemeine, Manuela Frieß, 2015
http://www.augsburger-allgemeine.de/mindelheim/Millionen-lieben-seine-Bilderbuecher-id36197922.html
Anmerkungen von Helmut Spanner:
Nicht meine theoretische Arbeit wurde seinerzeit mit der Note 1 bewertet, sondern die bildnerische Arbeit, also die Originale von „Meine ersten Sachen“.
Die Gruppe hieß nicht: „Gruppe Pappbilderbuch“, sondern „Gruppe Bilderbuch“. Wir Studenten wussten bei der Gründung damals noch gar nicht, was Pappbilderbücher sind.
Erst Kunstakademie, dann Kinderbücher:
Helmut Spanner hat Millionen Bücher verkauft.
Die Kunst, sich doof zu stellen
Helmut Spanner malt seit 35 Jahren Bilderbücher für die Kleinsten
München - Wenn es um die Wahrnehmung von Kleinkindern geht, versteht Helmut Spanner keinen Spaß. Er braucht da bloß an solche unmöglichen Zeichnungen zu denken, die Silhouette einer Tasse beispielsweise. Er nimmt jetzt einen Stift, beugt sich über seinen Küchentisch und macht das Ganze vor. Eine Tasse von der Seite gesehen, ohne jede räumliche Dimension des Gegenstands. Das, sagt Spanner, ist für Kinder praktisch nicht erkennbar.
„Erwachsene wissen, dass sich hinter diesen Strichen eine Tasse verbergen soll”, erklärt er. „Ein Kind sieht aber nur eine Linie.” Von dieser Art, für Kleinkinder zu malen, hält er verständlicherweise nichts. In seinen Bilderbüchern für Kinder bis zu drei Jahren zeichnet er natürlich anders, nämlich vor allem dreidimensional. „Die Kunst ist es, sich doof zu stellen”, erklärt er. Kinder seien ja ganz neu auf der Welt, sie hätten noch keine Möglichkeit, aus einer zu abstrakten Zeichnung irgendwelche Rückschlüsse zu ziehen. Da müsse man sich hinein-versetzen. Wobei das nicht alles ist, was Spanner tut. Er hat die Kinderauch gefragt.
„Ich war in zahlreichen Kindertagesstätten, habe den Kindern verschiedene Bilder gezeigt und sie gefragt, was sie sehen.” Sie konnten es oft nicht sagen, obwohl es Dreijährige waren, die schon sprechen konnten. Welche gravierenden langfristigen Folgen solche falschen Bilderbücher haben können, darüber kann sich Spanner wirklich echauffieren. „Wenn die Kinder nichts verstehen, verlieren sie das Interesse am Buch." Und zwar nicht nur an diesem einen, sondern am Buch generell, fürchtet der Illustrator.
„Da braucht man sich über schlechte Pisa-Ergebnisse nicht zu wundern.”
Seit 35 Jahren zeichnet Spanner, der diesen Samstag seinen 60. Geburtstag feiert, Bilderbücher für die Kleinsten. Dass diese Tätigkeit für ihn nicht einfach nur aus Malen besteht, sondern dass sie einen quasi ideologischen Hintergrund hat, erklärt sich aus seiner Sozialisation als “Nach-68er", wie er sich selbst bezeichnet. In den 70er Jahren hat er an der Kunstakademie studiert, um Lehrer zu werden. „Wir waren nicht zufrieden mit dem Angebot an der Akademie”, berichtet er. „Wir wollten die Welt verändern.
"Spanner, der sich schon damals für die Wahrnehmung von Kleinkindern interessierte, rief an der Akademie die „Bilderbuchgruppe” ins Leben. Diese bestellte bei Verlagen die damals aktuellen Bücher und untersuchte sie nach wissenschaftlichen Kriterien - mit niederschmetternden Ergebnissen. Alle damaligen Werke waren genauso, wie sie nach Spanners Meinung nicht sein sollten. Man begann, Alternativen herzustellen. Und schon damals entstand der Kontakt zum Ravensburger Verlag. Seinen ersten Auftrag bekam Spanner praktisch aufgrund seiner Frechheit.
„Ich fragte bei einem Besuch im Verlag, der neue Konzepte für Pappbilderbücher suchte, ob sie eigentlich wissen, was sie für einen Schmarrn machen”, erinnert er sich und grinst. Eine Behauptung, welche die Neugier der Verleger hervorrief. Spanner malte sein erstes Bilderbuch. Es heißt „Meine ersten Sachen” und ist seit 1977 durchgehend auf dem Markt. Spanners Bücher verschwanden nicht mehr, er hat in 35 Jahren zehn Millionen Bücher verkauft. Viele davon sind Klassiker seit Generationen, etwa „Ich bin die kleine Katze”, das seit 30 Jahren im Verlagssortiment ist.
35 Jahre lang zeichnen für Kleinkinder - und das als Absolvent der Kunstakademie? Da bekommt Spanner schon mal dumme Fragen gestellt. Ob ihn das denn ausfülle, zum Beispiel. „Ich finde den Beruf unglaublich schwer”, sagt er dann. „Arbeiten Sie mal für Leser, die für ihre Wahrnehmung keinerlei Vorbildung haben.”
Nebenbei hat Spanner übrigens auch Filmmusik komponiert, rund 1000 Stücke. Sein Engagement ist allerdings eindeutig gelagert. Noch eine Frage liegt nahe: Hat er Kinder? Nein. keine eigenen. Aber Mia, 8, “Ziehkind" von seiner Frau und ihm. Mit ihr zeichnet Spanner um die Wette.
Süddeutsche Zeitung, Claudia Wessel, 2011
Helmut Spanner – Zeichner, Pädagoge, Musiker, Geburtstagskind
Nicht schöner könnte man über Helmut Spanner schreiben, als wie er es selbst tut auf seiner homepage www.helmut-spanner.de. Selbstironisch und nicht ohne Spitzen zelebriert hier ein Ausnahmekünstler seinen Lebensweg, der eigentlich ein echter Bilderbucherfolg ist, auch wenn am Anfang nicht alles darauf hin deutete.
Nicht nur, dass der 1951 geborene Illustrator das musische Gymnasium mit der Note vier in Zeichnen verließ, auch die Kunstakademie wollte Spanner zunächst nicht aufnehmen. Nach hartnäckigem zweiten Anlauf klappte es dann doch. Doch welche Enttäuschung, statt handwerklichen Fähigkeiten langweilte sich Spanner bei künstlicher Genialitätsvermittlung und ging deshalb lieber zum Baden. Mit Sicherheit für ihn eine bessere Sehschule als die hermetische Welt der Akademie.
Denn Spanner wollte als einer der ersten das Thema Pappbilderbuch salon-, respektive theoriefähig machen und verfasste seine Examensarbeit zum Thema Rund ums Pappbilderbuch. Wie viel Essenzielles diese durchaus subjektiv wertende Abschlussarbeit zur Bildrezeption bei Kleinkindern enthält, kann man leider heute nicht hochoffiziell nachlesen, denn das Werk liegt säuberlich gebunden, aber unveröffentlicht bei Helmut Spanner in einem seiner Papierschränke – inmitten eines geschmackvollen Ateliers voller Polychrom-Buntstifte, die wie bunte Vögel eine ganze Wand einnehmen.
Spricht man Helmut Spanner auf das Thema Pappbilderbuch an, bricht es temperamentvoll bis aufgebracht aus ihm heraus. Denn Helmut Spanner lebt das Pappbilderbuch. 1976, noch während seines Studiums durfte er sein erstes Pappbilderbuch veröffentlichen. Während es die Akademie-Professoren mit einer Note „mangelhaft“ bedachten, ist Meine ersten Sachen bis heute, 33 Jahre später, lieferbar und einer der Klassiker des Ravensburger Verlags.
Wenn Spanner heute Sätze sagt wie „Das eigene Erkennen ist der Fortschritt zum Sprechen“ oder wie er den Begriff Zeit in seine Bilder hineinzaubert, wie er am Beispiel verdeckter Körper klarmacht, dass Kinder zunächst nicht Fehlendes addieren, wenn sie sehen, sondern nur sehen, was da ist – dann möchte man aufspringen und dem großen Zeichner und Theoretiker eine Professur für „Bilder sehen lernen“ geben – wahlweise zu besuchen von zukünftigen Illustratoren, Erziehern und Programmmachern.
Spanner hat die Gabe, in seinen Bilderbüchern nicht nur lexikalische Lebenswelten zu entwerfen, die einem Baby und Kleinkind das Rüstzeug zur Welterfahrung geben. Spanner hat auch dank seines zeitlosen Stils eine pädagogische Grundschrift erfunden. Seine Bücher sind Basis jeder frühen guten Leserfahrung. Erste Bilder, erste Wörter ist die Einstiegsdroge zur Bilderkennen und Abstraktion. Ich bin die kleine Katze, endlich wieder lieferbar, wird in zahlreichen Abhandlungen zum geglückten Beleg für frühkindlichen Sehen und Verstehen herangezogen.
Auf die Frage, wie Spanner auf diese „weise“ Bildsprache kommt, antwortet er schelmisch und mit seinem ansteckenden Lachen: Es sei nicht so, dass er sich bei „jedem Zipfel“ einen Gedanken mache, was und wie es pädagogisch wirke, nein, es sei viel Intuition dabei. Und eine große Portion eigene, erhaltene Kindlichkeit“. Dass man mit der Mischung aus handwerklichem Können, dem Nachspüren „was Kinder brauchen und wollen“ und viel Humor ganz schön erfolgreich sein kann, beweisen Spanners 10 Millionen mal verkaufte Bücher. Vom ersten Buch 1976 bis heute ist er seinem Verlag, Ravensburger, treu verbunden. Es wäre ihm all die Jahre gar nicht eingefallen, wegzugehen, sagt er, denn Spanner ist ein Familienmensch und schließlich sind seine Bücher auch seine Babys, der Verlag die Familie.
Helmut Spanner könnte sich ausruhen. Auf den Erfolgen über Jahrzehnte, in der schönen Altbauwohnung mitten in Schwabing, zusammen mit seiner Frau und dem Katerchen. Allein, er tut es nicht. Viel Filmmusik hat er in den letzten Jahren geschrieben, vornehmlich für den Regisseur Dominik Graf und frönt damit seiner zweiten großen Leidenschaft, der Musik, ohne die er nicht einen Tag leben möchte.
An den Wänden seines Ateliers hängen zahlreiche Detailstudien zu Bären und wenn man ein bisschen nachbohrt, dann holt er wunderbar gezeichnete Tableaus von zeitloser Schönheit aus seinen Schubladen. Tiere, die man streicheln möchte, so plüschig fängt Spanner das Fell ein; Gegenstände einfach, aber plakativ und in ihrer handwerklichen Perfektion echte Designklassiker.
Das sieht auch Frank Epple so, der bis Januar im Jesuiten-Kolleg in Mindelheim die erste Spanner-Retrospektive gezeigt hat.
Dass aber noch niemand auf die Idee gekommen ist, aus Spanner-Figuren Merchandising zu entwickeln, lässt ein wenig staunen. Sitzwürfel, Memories, und Plüschfiguren. Hier steckt noch Musik drin?
Dir lieber Helmut, noch viele künstlerische und pädagogische Treffer, wenn du am 5. Februar Deinen 60. Geburtstag feierst.
Eselsohr, Fachzeitschrift für Kinder-und Jugendmedien, Christine Paxmann, 2011
Der Bilderbuch-Millionär
Augsburg Seine Bücher sind Legende. Neulich waren in seinem Schwabinger Atelier drei 18-Jährige – groß gewachsene, coole Mannsbilder. Aber als sie das Buch „Ich bin die kleine Katze” sahen, wurden sie nostalgisch. „Sie konnten bei jedem Bild sagen, wie es auf der nächsten Seite weitergeht”, erzählt Helmut Spanner. Das sind Glücksmomente für Deutschlands erfolgreichsten Bilderbuchautor, der heute vor 60 Jahren in Augsburg geboren wurde.
Zehn Millionen Bücher von Helmut Spanner wurden verkauft, aber ihr Autor blieb unbekannt. „Ach Sie sind das!”, hört er oft. In unzähligen Familien sind die Bilderbücher beliebt: „Erste Bilder, erste Wörter”, „Hallo, kleine Maus”, „Schau mal her, was macht der Bär?”, lauten einige Titel. Spanner hat sich auf die ganz Kleinen spezialisiert. „Ich habe nur drei Jahre Zeit”, weiß er. Doch es sind entscheidende Jahre für die Kinder. In ihrem Gehirn bilden sich 50.000 Synapsen pro Sekunde. Sie lernen ungeheuer schnell – wenn sie die richtigen Anregungen erhalten.
Helmut Spanner malt für sie ganz einfache Bilder. „Der Schritt vom Abbild zur Realität muss sehr klein sein.” Denn die Welt des Kleinkinds ist das Greifbare. Das flache Bild auf dem Papier sollte möglichst genauso wirken. „Einmal hatte ich die Schale einer Banane weggelassen und eine Dreijährige sah darin einen Mond.” Gemalte Bilder zu erkennen ist der erste Schritt zum abstrakten Denken, betont Spanner.
Er gehe künstlerisch in dieser Arbeit auf, die „ernsthafte” Malerei vermisst er „absolut nicht”. „Das Pappbilderbuch wird unterschätzt, es gehört eigentlich in den Feuilletons besprochen”, meint Helmut Spanner. Intensiv hat er sich mit Entwicklungspsychologie beschäftigt und daraus Inhalt und Gestalt der elementaren Bilder abgeleitet.
In der Münchner Kunstakademie wurde sein erstes Bilderbuch, das 1976 beim Ravensburger Verlag erschien, mit der Note „mangelhaft” abgekanzelt. Es ist bis heute, 35 Jahre lang, ein Klassiker.Helmut Spanner wollte Lehrer werden, aber das Schulsystem war ihm zu starr. Als er sich zur freiberuflichen Tätigkeit entschied, hat ihn sein Vater enterbt. Zum Glück bestärkte ihn seine Frau Christine, eine Grundschullehrerin, die am Konzept aller Bücher beteiligt war.
Helmut Spanner schmuggelt viel Witz in seine kindlichen Bilder. Die Maus sitzt im Eierbecher, der Bär hält den Telefonhörer falsch herum, die Feuerwehr füttert eine Giraffe, die am Hals einen Verband trägt. Überall steckt eine Geschichte drin, die beim Betrachten erzählt werden will. Und weil Kinder noch kein Gespür für Vergangenheit haben, wird ein Ablauf in einzelnen aufeinander folgenden Bildern geschildert: der Igel an der Zaunlücke, der Igel hinter dem Gartenzaun, ein Apfel im Gras, der Garten im Überblick.
Wenn ihm am Zeichentisch die Arbeit zu einsam wird, macht Helmut Spanner Musik.
Wie damals in der Schülerband im Gymnasium Marktoberdorf. Mit ihm drückte der spätere Filmregisseur Dominik Graf die Schulbank. Fast zehn Jahre lang hat Spanner für ihn Filmmusik komponiert. „Wir waren ein starkes Team.” Besonders stolz ist Spanner auf die Vertonung des Films „Frau Bu lacht” (1995) zum 25-jährigen Jubiläum des Tatorts, der noch heute als der beste aus der TV-Krimireihe gilt. Auch hier hat Helmut Spanner eine Legende geschaffen.
Augsburger Allgemeine, Alois Knoller, 2011
Jubiläum
Bilderbuchautor Helmut Spanner wird 60!
Mit seinen Werken starten Kinder in die Welt der Bücher: Helmut Spanner. Der Autor, der das Genre Pappbilderbuch wesentlich geprägt hat, feiert am 5. Februar 2011 seinen 60. Geburtstag. Titel wie „Erste Bilder, erste Wörter“ oder „Ich bin die kleine Katze“ sind die Klassiker in deutschen Kinderzimmern. Sie verkauften sich über 10 Millionen Mal. Seinem Grundsatz ist er seit seinem ersten Buch treu geblieben: Gegenstände so realistisch wie möglich zu zeichnen. Kinder sollen sie be-greifen können. Zu seinem Jubiläum erscheinen „Erste Bilder, erste Wörter“ und „Ich bin die kleine Katze“ in Sonderformaten. Außerdem bringt Ravensburger das Guckloch- und Dreischeiben-Buch „Bilder kennen, Wörter nennen“ sowie vier Buggy-Bücher auf den Markt.
Bereits im Studium beschäftigte sich Helmut Spanner mit Kinderbüchern. Mit Kommilitonen der Kunstakademie München gründete er die „Gruppe Bilderbuch“, die sich mit der inhaltlichen und formalen Analyse auseinandersetzte. Erste Erkenntnisse setzten sie in eigene Konzepte um. Die Zusammenarbeit mit dem Ravensburger Buchverlags begann mit der Entwicklung eines Konzepts für Pappbilderbücher.
Helmut Spanners Zeichnungen sollen die geistige und sprachliche Entwicklung von Kindern unterstützen. Dazu ist es für ihn notwendig, die Abstraktionsstufe zwischen realem Gegenstand und zweidimensionalem Bild so klein wie möglich zu halten. Das bedeutet: Gegenstände der kindlichen Umgebung auf das Wesentliche reduziert und realistisch darzustellen. Besonders deutlich wird dies an dem fast fühlbaren Plüsch von Kuscheltieren, den Maserungen von Holz oder dem Glanz von Plastik. Helmut Spanner geht es in seinen Büchern darum „Sprech-Anlässe“ zu schaffen. Bilder müssen Geschichten erzählen und von den Kindern nachvollziehbar sein. In „Ich bin die kleine Katze“ sind das Gefühle wie Fürsorge, Neugier, Hunger oder Angst. Die Verkaufszahlen geben ihm recht. Sein erstes Buch „Meine ersten Sachen“ wurde 1976 verlegt. „Ich bin die kleine Katze“ folgte 1985 und entwickelte sich zum Bestseller mit über 1 Million verkauften Exemplaren. „Erste Bilder, erste Wörter“, erschienen 1993, ging bisher rund 850.000 Mal über den Ladentisch. Bis heute arbeitet er ausschließlich für den Ravensburger Buchverlag.
Helmut Spanner wurde in Augsburg geboren. Heute lebt er in München und Mindelheim. Wenn er nicht an Ideen für seine Bücher arbeitet, beschäftigt er sich mit seiner zweiten Leidenschaft: der Musik. 1990 hat er sich ein Tonstudio eingerichtet, in dem Musik zu Filmen komponiert, arrangiert und produziert.
Presse-Information, Ravensburger Verlag, 2011
Ein Bestsellerautor, den kaum jemand mit Namen kennt
Kinderliteratur
Helmut Spanner hat über zehn Millionen Bücher verkauft. Am heutigen Samstag wird er 60. „Qualität und Erfolg müssen sich nicht ausschließen“, findet er.
Nassenbeuren
Helmut Spanner trägt Jeans und ein zerknautschtes weißes Hemd. Seine Frau Christine serviert Kräutertee und Sandkuchen. Die Stimmung beim Besuch der MZ ist häuslich-entspannt, Förmlichkeit kann gar nicht erst aufkommen, zumal Spanner sofort lossprudelt, noch bevor der Besuch überhaupt die erste Frage stellen kann.
Vor dem brennenden Kamin räkelt sich die Katze mit dem dunkelbraunen, dicken Fell und den glühenden Augen, die den Spanners vor ein paar Jahren zugelaufen ist.
Mit der „kleinen Katze“ kam der Durchbruch auf dem Buchmarkt
Eine ganz andere Katze hat im Leben des Zeichners und Kinderbuchautors eine wichtige Rolle gespielt. Das war vor 30 Jahren, als sein zweites Bilderbuch erschien, mit dem Titel: „Ich bin die kleine Katze“. Diese Katze war sein Durchbruch auf dem Markt. Seither hat Spanner über zehn Millionen Bücher verkauft, mehr, als beispielsweise Janosch je geschafft hat.
Nur: Janosch kennt jeder, der Name Spanner ist so gut wie unbekannt. Das liegt daran, dass Spanner für Kinder zwischen null und drei Jahren zeichnet, und das ist eine Zielgruppe, die außer jungen Eltern und den Kindern selbst kaum einen interessiert. In den Feuilletons existieren Helmut Spanners Arbeiten nicht, auch die Jugendliteratur-Verlage nehmen ihn bis heute nicht ernst.
Das wurmt den Künstler. Trotz des wirtschaftlichen Erfolgs. Und zwar hauptsächlich deswegen, weil er es für unverantwortlich hält, dass die Kleinkindphase von der Kinderliteratur so unterbewertet und mit Verachtung gestraft wird.
Es gebe, stellt er fest, jede Menge Zeichner und Verlage, die die kindliche Art der Wahrnehmung gar nicht kennen oder nicht zur Kenntnis nehmen. Für viele stehe an erster Stelle, „sich als Künstler verwirklichen zu können“, ohne die Eigenart ihrer kleinen „Leser“ zu berücksichtigen.
Spanner kann mit Leidenschaft stundenlang über Hirnforschung und Entwicklungspsychologie referieren, um zu belegen, warum gerade diese Lebensphase für das Denken, die Sprache und die Ausformung differenzierter Wahrnehmung so unendlich wichtig ist. Und warum er selbst gerade so und nicht anders zeichnet.
Der Ravensburger Verlag widmet Spanner eine Jubiläumsaktion.Dass er damit auf dem richtigen Weg ist, beweisen seine Bestseller, die teilweise seit 35 Jahren immer wieder aufgelegt und von Kindern heiß geliebt werden. Gerade jetzt, zu seinem heutigen 60. Geburtstag, hat der Ravensburger Verlag ihm eine eigene Aktion gewidmet.
„Qualität und Erfolg müssen sich nicht ausschließen“, sagt Spanner provozierend. „Nur weil sich Kunst nicht verkauft, ist sie nicht automatisch gut.“ Er sieht sich als Macher, als einer, der „solide handwerkliche Arbeit abliefert und nicht den Künstler spielt. Aber dreinreden lass’ ich mir nix, wenn’s ums Malen geht. Ich bin ein sturer Hund.
“Spanner grinst, als er das sagt, dann lacht er. Er lacht überhaupt gern. Er steckt voller Energie, ereifert sich gern, ohne dabei verbissen zu wirken.
Mit Originalen im „Reich der Phantasie“ vertreten
Helmut Spanners Originalzeichnungen sind heuer bereits zum zweiten Mal in der Ausstellung „Im Reich der Phantasie“ zu sehen. Er hält das Mindelheimer Projekt für äußerst bemerkenswert, und für einzigartig im süddeutschen Raum. Die Unterschiede zwischen Original und Druck nachvollziehen zu können, sei eine Offenbarung.
Die Spanners pendeln zwischen ihren Wohnungen in der quirligen Münchner Türkenstraße und im stillen Haus der Schwiegermutter in Nassenbeuren, wo der Blick ungehindert über die Lindenallee zum Waldrand schweift. Sie genießen diese Kontraste und fühlen sich hier wie da wohl.
Die Katze hat sich inzwischen erhoben und stolziert würdevoll aus dem Zimmer. Spanner ist jetzt zum Thema Musik übergegangen und erzählt mit dem ihm eigenen Enthusiasmus von seiner zweiten Tätigkeit, dem Komponieren und Arrangieren von Filmmusiken und von der Zusammenarbeit mit dem Regisseur Dominik Graf. Aber das ist eine andere Geschichte. Die soll ein andermal erzählt werden ...
Mindelheimer Zeitung, Eva-Maria Frieder, 2011
Der unbekannte Bestseller-Autor
Gersthofen - Welche Eltern und Großeltern kennen nicht die bekannten Pappbilderbücher „Hallo, kleine Maus!“, „Die Küchenmaus“, „Erste Bilder, Erste Wörter“ und vor allem den Klassiker „Ich bin die kleine Katze“. Über zehn Millionen Exemplare wurden auf der ganzen Welt verkauft. Dass der Künstler, der hinter den liebenswerten Zeichnungen steckt, Helmut Spanner heißt und aus Gersthofen kommt, weiß kaum jemand.
Spanner wurde 1951 als Einzelkind in Gersthofen geboren und besuchte dort die Pestalozzischule. Seine Eltern Hans Spanner und Frieda, geborene Pfiffner, wohnten damals in der Augsburger Straße 39, hatten zuerst ein Fuhr- und dann ein Taxiunternehmen. Vielen alteingesessenen Gersthofern ist der Name „Auto Spanner“ auch heute noch ein Begriff. Josef Spanner, sein Onkel, war Kohlenhändler.
Der 59-Jährige erinnert sich gerne an die Zeit in seinem Heimatort: „Hinter der Augsburger Straße Richtung Bahnlinie war bis nach Hirblingen nichts mehr außer Wiese. Dort haben Hermann Nettel und ich gerne gespielt.“ Nettel ist Lehrer an der Hauptschule in Gersthofen. Mit ihm verbindet Helmut Spanner bis heute eine enge Freundschaft.
Später besuchte Spanner das musische Gymnasium in Marktoberdorf, wo sich Bernhard Lehmann (Lehrer am Paul-Klee-Gymnasium Gersthofen) und er anfreundeten. „Er hat mir später einmal gesagt: Du wusstest schon damals mit 16 Jahren, dass du mal Bilderbücher machen möchtest“, erzählt der Autor. Beide hatten bezüglich der Zwangsarbeiterausstellung Kontakt, zu der Helmut Spanner etwas aus dem Familienarchiv beisteuern konnte.
Gesellschaftliche Veränderung sollte bei Kindern beginnen
In München belegte er Kurse an der Akademie der bildenden Künste und gründete mit ein paar Studenten die Gruppe Bilderbuch. „Wir wollten die Gesellschaft verändern und deshalb bei den Kindern beginnen“, erzählt Spanner noch immer voller Enthusiasmus. Daher beschäftigte er sich intensiv mit allen Facetten des Bilderbuchs - sowohl inhaltlich als auch künstlerisch und psychologisch.
Darin liegt das Geheimnis seines Erfolgs. Spanner malt nicht irgendwelche bunten Bilder, die Erwachsene ansprechen, sondern ging in Kindergärten und testete die Wirkung seiner Bilder auf die Kinder selbst. „Ich möchte Bilder für die Kinder begreiflich machen. Die ersten Grifferfahrungen machen sie in der Natur, dann geht es über zur Kultur und zum Buch. Deshalb müssen die ersten Bücher und Zeichnungen erklärend sein.“
Dazu hinterfragte Spanner, wie die Gegenstände seiner Bücher von Kindern wahrgenommen werden. Allein an „Ich bin die kleine Katze“ saß er darum ungefähr eineinhalb Jahre. Er erarbeitete ein Konzept und schickte die Katze durch Alltagssituationen, die die Kinder kennen. Dabei vermenschlicht er die Katze nicht, sodass die kleinen Betrachter zudem noch etwas über das Tier lernen. „Die Kinder sollen in die Situationen schlüpfen können und selbst Geschichten dazu erzählen“, so der Autor.
Schon im Erscheinungsjahr 1981 wurden 65 000 Exemplare dieses Buchs verkauft, Spanner bekam dafür 1982 in Italien und im Jahr 2000 in Heidelberg Literaturpreise. Insgesamt hat er 20 Buchtitel veröffentlicht. Dennoch bedauert er zutiefst, dass das Pappbilderbuch in Deutschland keine Anerkennung findet und dieser Art Bücher von öffentlicher Seite kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Spanners zweite große Leidenschaft ist die Musik: Gemeinsam mit dem deutschen Film- und Fernsehregisseur Dominik Graf machte Spanner auch Filmmusik für TV-Produktionen wie beispielsweise für „Tatort“, „Der Fahnder“ und für Kinofilme. „Ein Tag ohne Piano oder Gitarre kommt bei mir selten vor“, erzählt er.
Heute wohnt er gemeinsam mit seiner Ehefrau Christine, einer Grundschullehrerin, in einer hübschen Atelierwohnung in München- Schwabing. Sie sind seit 1975 glücklich verheiratet. Einmal im Jahr öffnet er im Rahmen der Aktion „Kunst im Karrée“ sein Atelier und zeigt seine Arbeit. Gerne kommt Helmut Spanner auch hin und wieder nach Gersthofen, um alte Freunde zu besuchen. Dabei ist er immer wieder verblüfft, wie sich die Stadt entwickelt hat.
Augsburger Allgemeine, Diana Deniz, 2010